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Nach einer Woche ist das Wetter heute endlich wieder richtig schön. Ein paar Wolken hängen zwar noch zwischen den Bergspitzen, aber diese machen das Landschaftsbild dafür umso spannender.
Ich starte zusammen mit meinem Vater sehr früh unsere vereinbarte Tour und wandern einen wunderschönen Panoramaweg entlang der gigantischen Bergkette von Eiger, Mönch und Jungfrau. Nach dieser anstrengenden Wanderung sind wir schon etwas müde, trotzdem möchte ich heute unbedingt noch auf die gegenüberliegende Bergkette fahren, um den lang ersehnten schönen Tag voll zu nutzen. So wie das Leben spielt haben wir Glück und erwischen den letzten Bus auf die Passstraße hinauf.
Der Ausblick von oben über das Berner Oberland ist gigantisch, malerisch. Mir ist sofort klar, warum dieser Ort für so viele erfolgreiche Maler und Filmemacher eine Inspiration war. Ich möchte unvergesslich schöne Fotos vom Sonnenuntergang mit der gigantischen Bergsilhouette machen, doch der letzte Bus nach unten geht leider schon bald, viel zu früh. Ich bin schon müde von der Tour heute. Soll ich wirklich jetzt auch schon den letzten Bus hinunter nehmen und auf das Fotografieren verzichten oder soll ich trotz Müdigkeit den langen Weg zu Fuß hinunter wandern allerdings mit meinen Fotos im Gepäck? Ach was, nein, egal, wir nehmen den Bus nach unten und ich komme nächstes Jahr wieder hierher, mir fehlt ohnehin mein Stativ heute…
Während ich in den Bus einsteige sagt mir mein Kopf, dass es die richtige und sicherere Entscheidung ist hinunter zu fahren aufgrund der Kälte und der voranschreitenden Müdigkeit. Doch mein Herz und mein Bauch sprechen anders und lassen mich plötzlich wieder aussteigen. Einfach so. Der Bus nimmt meinen Vater und alle anderen da gewesenen Menschen mit und fährt vom Pass ab. Jetzt stehe ich alleine da und schaue zu, wie der Bus langsam am Horizont verschwindet. Ganz alleine hier in der wilden Natur fühle ich sie wieder hochkommen, diese Stärke und Energie in mir und ich fühle mich auf einmal unheimlich wohl und befreit mit dem Bewusstsein, dass mir nichts passieren kann, denn ich bin ja jetzt hier am Ursprung des Lebens, wo Mutter Natur auf mich aufpasst oder wenn sie will, mich auf natürliche Weise vergehen lässt. Genau hier flammt es wieder auf, mein Vertrauen ins Leben, das ich in der Großstadt zutiefst vermisse und meist gänzlich entbehre.
Gut, ich suche zuerst einmal Wasser, denn ich habe keinen Tropfen mehr in meiner Flasche und der Weg nach unten ist anstrengend und viel zu weit ohne Wasser. Bis zum Sonnenuntergang dauert es noch ein wenig, also begebe ich mich über den Bergkamm, um die gegenüberliegende Seite zu erkunden. Je weiter ich den Hang durch Schnee und Gestrüpp hinabsteige, desto wilder wird die Umgebung. Keine Menschenseele in der weiten Landschaft, in der sich nur spitze Nadelbäume, Hochmoore und gelbbraun verfärbte Gräser zwischen gigantischen Berggipfeln finden. Plötzlich und unerwartet erstreckt sich vor meinen Augen ein riesiges Moorloch mit einer Wasseroberfläche, die durch die absolute Windstille so glatt wie Spiegel ist, sodass ich die feinsten Vibrationen durch jeden meiner Schritte in ihm sehen kann. Ich habe schon viele Naturschauspiele gesehen in meinem Leben, aber noch nie zuvor war ich Zeuge einer derart perfekten Spiegelung im Wasser, die so klar ist, dass ich für Momente überhaupt nicht mehr zwischen Himmel und Erde unterscheiden kann. Vollkommen ergriffen von diesem Anblick schieße ich einige Panoramafotos mit dieser unglaublichen Szene, lasse danach noch die Wildnis in all ihren Facetten auf mich wirken und genieße den Ausblick auf die malerischen Bergspitzen, die sich im Wasser wiederfinden.

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Jetzt steht die Sonne schon tief und ich begebe mich langsam wieder bergaufwärts durch den Schnee Richtung Bergkamm. Eine kalte Brise wilden Herbstwindes kommt auf. Meine Finger und Zehen beginnen zu frieren, aber es gelingt mir durch den Anblick der tröstlichen Natur sehr schnell, die Schmerzen auszublenden.
Wieder am Bergkamm oben angekommen überrascht mich das Phänomen, 3 Sonnen am Himmel sehen zu können. Die 3 Sonnen stehen in einer Linie. Die linke wirft einen Regenbogen, wie auch die rechte. Ich sehe genauer hin und erkenne einen riesigen Kreis rund um die Sonne. Dieses Phänomen nennt sich Halo und entsteht, wenn die Luft kalt genug ist und Eiskristalle das Sonnenlicht brechen. Je nach Größe und Orientierung der Eiskristalle und je nach Winkel, mit dem das Licht auf die Kristalle trifft, entstehen an verschiedenen Stellen des Himmels weiße und farbige Kreise, Bögen, Säulen oder Lichtflecken.

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Zusehends wird es richtig kalt. Ich hülle mich dick ein und verhülle mich regelrecht mit allem, was ich an Gewand mit habe, schnalle meinen Kamerarucksack fest um die Brust und begebe mich mit der Kamera in der Hand bergabwärts Richtung Heimat. Der Weg hinunter ist mir fremd, aber ich folge einfach der Straße, sodass ich in spätestens 5 bis 6 Stunden dann wieder unten im Grindelwald sein sollte.
Eine Stunde ist bereits vergangen, es wird dunkel und der Akku meines iPhones ist fast aus. Zum Glück aber habe ich eine kleine Taschenlampe im Rucksack mit. Weiter am Weg hinunter begleitet mich der Eiger und präsentiert sich mir aus den verschiedensten Perspektiven.
Neben der Straße entdecke ich eine wilde Einkerbung. Wieder sehe ich ein Hochmoor mit spiegelglatter Wasseroberfläche, in dem sich die beiden markanten Berge Eiger und Mönch spiegeln und aus der sich ein paar große Grashalme ihren Weg suchen, um der dunklen Stimmung ihren melancholischen Touch zu verleihen. Die an der Oberfläche schwimmenden und bereits verwelkten Halme lassen Stellen darin vereist aussehen und ich fange dieses natürliche Geschehen mit meiner Kamera ein.
Jetzt ziehen Wolken auf. Das Licht ist kalt, weiß und alles andere als spannend. In diesem Moment wird mir klar, dass der Traum von schönen Sonnenuntergangsfotos für heute ausgeträumt ist. Egal, sage ich zu mir selbst, ich versuche wie immer, das Beste aus allem herauszuholen. Und während ich das denke, fotografiere ich den sich im Wasser spiegelnden Eiger und entdecke zu meiner Überraschung am fertigen Foto eine unrealistische rosaviolette Linie im Berg. “Was ist denn jetzt los?“, frage ich mich, „ist etwa meine Kamera kaputt oder die Linse verschmutzt?“ Ich schaue auf in die Ferne, kann aber keine rosaviolette Linie direkt am Eiger sehen. Schaue ich aber ins Wasser, kann ich die Linie am Berg klar sehen. „Also liegt es doch nicht an meiner Kamera“, sage ich zu mir. Und während ich staune, drängt sich da nun doch noch ein letzter Sonnenstrahl durch die Wolken und wirft eine Gerade auf den Eiger! Und in derselben Sekunde, in der mir die Antwort auf die Frage zum Phänomen der rosavioletten Reflexion im Wasser einfällt (- die Reflexion ist dunkler und bietet daher mehr Kontrast -) fängt der Himmel Feuer! Der ganze Himmel brennt lichterloh, so, als ob ein Streichholz in einem Fass Benzin gelandet wäre.

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„WOOOW! Was für ein Sonnenuntergang!“ So ein Naturschauspiel habe ich nun wirklich noch nie erlebt, obwohl ich schon einige Sonnenuntergänge rund um den Globus miterleben durfte. Vollends ergriffen sage ich zu mir selbst: „Es ist einfach perfekt, nein perfekter als perfekt“. Das Licht zaubert einen übertrieben kitschigen rosa Farbton in den Himmel und ich befinde mich mitten in einem Märchen, das eigentlich gar nicht wahr sein kann. Was hält die Natur nur für Überraschungen bereit? Wie sollte ich jemals mit einer derart intensiven Farbenpracht rechnen? Woher hätte ich wissen sollen, dass Farben wie diese tatsächlich existieren? Genauso schnell wie der Himmel gebrannt hat, so schnell ist das Feuer auch schon wieder erloschen.
Fünf Minuten habe ich noch Zeit für ein Panoramafoto und ein kurzes Video, also keine Zeit, ein Stativ aufzustellen, selbst wenn ich eines dabei hätte. Da begreife ich gerade wieder den Sinn in allem was geschieht, denn hätte ich mein Stativ heute mitgenommen, wäre ich sicher mit dem Aufbauen desselben beschäftigt gewesen und hätte den Sonnenuntergang mit Sicherheit verpasst. Ich habe mein Fotomaterial und zwar ein besseres als ich mir jemals hätte erträumen können.
Jetzt verfärbt sich der Himmel rasant schwarz. Ich packe schnell meine Kamerasachen ein solang ich noch alles gut sehen kann. Und nun darf ich wirklich müde und erschöpft sein… und trotzdem habe ich noch 4 bis 5 Stunden bergab zu gehen.
Zurück an der Straße höre ich plötzlich das Geräusch eines fahrenden Autos. Ich laufe so schnell ich kann, um das Auto zu stoppen, was mir in letzter Sekunde auch gelingt. Der Mann am Steuer ist ausgesprochen freundlich und nimmt mich mit. Ich bemerke, dass auch er eine Kamera samt Stativ bei sich hat. Ob er wohl auch diesen einen Sonnenuntergang eingefangen hat? Sofort haben wir ein Gesprächsthema und dann noch viele weitere. Wie überrascht ich bin von der offenen und warmherzigen Art, mit der mir dieser liebe Mann entgegenkommt. Er achtet auf die Natur und passt auf die Tiere auf, eine Seele von einem Menschen. Mir kommt vor, als ob ich ihn schon lange kenne. Auch von mir selbst bin ich überrascht über meine plötzliche Offenheit gerade als introvertierter Mensch.
Geschafft. Ich bin gut angekommen. Nach einer grandiosen Fototour mit den besten Lichtstimmungen meines Lebens, mit unglaublichem Fotomaterial im Gepäck und einer besonderen Bekanntschaft bin ich reicher als reich beschenkt worden. Was für ein Erlebnis und was für ein Abenteuer hätte ich versäumt, wenn ich im Bus geblieben wäre. Mein Bauch ist mein Kompass. Meine spontane Umentscheidung, die sich richtig angefühlt hat, hat mir eine neue Welt mit positiven Verkettungen eröffnet, für die ich unendlich dankbar bin. Wie kann das Folgen eines Bauchgefühls, das aus dem tiefsten Inneren kommt, jemals falsch sein? Ich kann mein Glück heute kaum fassen.
Ich wünsche mir, Reinhard einmal wieder zu treffen. Vielleicht zu einer gemeinsamen Wanderung oder sogar Fototour.